Der Mensch ist ein sich unentwegt frei bildendes Subjekt. Es ist sein natürliches Wesen, das seine optimale Entfaltung ermöglicht. Nur wenn diese Fähigkeit durch Fremd-Bildung blockiert und behindert wird, kommt es zu den katastrophalen Zuständen, die unsere Zivilisation eigen sind.
Die Gewährleistung einer "freien Bildung" also eines freien "Sich-Bildens" gibt jeden Menschen die Möglichkeit nicht aus dem Fokus des Lebens abgedrängt zu werden und falls es durch Beschulung und Erziehung schon geschehen ist, diesen Fokus wieder zu erreichen und zu ergreifen.
Sie ist die Grundlage für eine gesunde und lebendige Entfaltung jedes Menschen und damit der gesamten Gemeinschaft. Wir bevorzugen den Begriff Entfaltung oder Sich-Entfalten im Gegensatz zum Begriff Entwicklung, denn dieser Begriff suggeriert eine Minderwertigkeit eines Menschen, dem man durch einen Lernprozess zu etwas Höherwertigen bildet. Das entspricht nicht der Realität des Lebens.
Die Verschulung in unserer Gesellschaft ist mehr oder weniger eine Dressur für die vernutzende Gesellschaft und verhindert damit die freie Selbstbildung und Entfaltung des Menschen.
"Zwar ist die Kritik an der Schule so alt wie die Institution selbst; diese Kritik war allerdings selten mehr als ein modisches Thema, so wie das Wetter, die skandalösen Liebesbeziehungen oder das Geld... Fast ließe sich sagen, diese nutzlose Kritik ersetze die Bereitschaft, dem eigentlichen Problem der Schule wirklich und radikal zu begegnen! Wäre erkannt worden, daß die immerzu beklagten Nöte der Schule systemimmanent und deshalb nicht durch Reformen aufzuheben sind, ..."
Bertrand Stern "Nachdenkliches über die Bildungsrepublik" S. 73/74
"Im Zusammenhang mit dem Anlaß dieser Anmerkung möchte ich allerdings zwei Aspekte wiederholend hervorheben: Ich hoffe, daß hiermit deutlich wurde, wiesehr das selbstverständliche Recht, frei sich zu bilden, einer Haltung entspringt, die ich gerne als Respekt vor dem Leben und dem Menschen umschreiben möchte.
Und aus dieser Haltung heraus wird klar, daß die Institution Schule nur ein Symptom ist, das durch Kritik und Reformversuch bloß aufgewertet würde: ein völlig kontraproduktives Ansinnen.
Zumal durch viele auch derzeitig verlaufende juristische Verfahren sich mir eine andere Frage stellt: Zwar funktioniert dieses System nach bestimmten Gesetzen und Normen, doch wenn es etwa darum geht herauszufinden, wer weshalb welche Gesetze und Normen anwendet und welche Urteile wie „begründet“, stellt sich heraus: weder in Schulbehörden noch in der Politik noch in der Justiz habe ich bisher jemanden getroffen, der aus seinem Gewissen heraus für die bestehenden Zu- oder Mißstände dieser Schulnormativität verantwortlich zeichnen würde; im Zweifelsfalle argumentieren sie mit der gesetzlichen Pflicht oder mit wackeligen und unhaltbaren prognostizistischen Aussagen, die nach „Lesen im Kaffeesatz“ erinnern und nur dadurch „Bestand“ haben, weil es bisher „alle so gemacht haben“…
Schlimmer allerdings: Bisher ist mir noch keine Richterin, noch kein Richter begegnet, die/der angesichts des offensichtlichen juristischen Widerspruchs bereit gewesen wäre, selbst initiativ zu werden, um etwa mit einem Normenkontrollverfahren das Bundesverfassungsgericht anzurufen…"
Bertrand Stern
Bertrand Stern "Nachdenkliches über die Bildungsrepublik" S. 166/167
Unser heutiges Schulsystem entspringt den revolutionären Veränderungen ab dem Ende des 18. Jahrhundert. Das Ziel dieser Revolution war das Brechen der Herrschaft des Adels und der Kirche. Dadurch sollte das Volk als Souverän etabliert werden. Die Schule war bis dahin oftmals einem kirchlichen Monopol unterworfen und weitgehend dem Adel vorbehalten. Aus diesen Gründen folgte in diesen Zeiten die Forderung nach einer "Schule für alle".
Sie beruht auf der Illusion das Kinder als Zöglinge erziehungsbedürftig sind und in den ersten Jahren ihres Daseins Wissen und Fertigkeiten akkumulieren müssen. Die Schule wird für diese Einspeicherung von Wissen als zuständig erklärt und damit der junge Lernende zum Schüler.
Neue biologisch-organismische Erkenntnisse zeigen eindeutig, das genau diese Verschulung die natürliche Dynamik der Entfaltung des Menschen lähmt.
Die Beschulungsideologie reduziert das Leben und den Menschen auf ein einfaches rationales System.
"Mensch im Sinne der Menschlichkeit ist, wer sich bildet - und dies findet nur wirklich statt, wo der Mensch sich frei bildet!"
Bertrand Stern "Nachdenkliches über die Bildungsrepublik" S.91
"Frei sich bilden" ist viel mehr als Lernen, es ist der den Menschen immanente Prozess seiner Entfaltung. Es wird damit deutlich, dass das "Frei sich bilden" wesentlich für das Gelingen des Lebens jedes Menschen und der Gemeinschaft ist. Es durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft.
Der Mensch ist von seiner Natur her ein offenes, wißbegieriges, soziales Wesen und erfährt vom ersten bis zum letzten Atemzug den Wandel des Lebens, der von ihm ständig Infragestellung und Neuorientierung abverlangt. Wenn er nicht durch Verdummung (Verschulung) gelähmt wird, bleibt er lebenslang eine geistig rege Natur. Er wird immer über Erfahrenes konstruktiv reflektieren können und damit fähig sein Blockaden zu überwinden und sich neue Räume zu öffnen.
"Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narr´n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen."
Johann Wolfgang Goethe, Faust, der Tragödie Erster Teil