Grundlagen für ein "frei sich bilden"

Ein "frei sich bilden" findet nicht in einem neutralen Raum statt, sondern immer in konkreten Gemeinschaften oder Gesellschaften. Es ist also zu fragen, wie wirkt dieses konkrete kulturelle Umfeld auf die Möglichkeiten des Menschen um sich seiner Natur gemäß frei sich zu bilden. 

Ist es ausreichend einfach das System der jeweiligen Verschulung in der Gesellschaft zu beenden und ein "frei sich bilden" zuzulassen?

 oder

Ist es gleichzeitig notwendig, dass der Mensch auch die Grundlagen und Rahmenbedingungen seiner Gesellschaft in Frage stellt?

 

Der nachfolgende Beitrag von Jochen Schamal ist eine hervorragender Beitrag, um in die Tiefen von Sein, Bewußtsein, Wahrnehmung und Rationalität in Organismen und insbesondere beim Menschen vorzudringen. 

 

Hier geht es um die biologischen Grundlagen für ein erfolgreiches "sich frei bilden".

 


Wahrnehmungsfähigkeit als biologische Grundlage

Friedensfähige Selbstständigkeit

Von Jochen Schamal (aus WissenschafftPlus-magazin 4/2019)

Jeder Mensch möchte gesund und glücklich in einer friedlichen Welt leben. Dieses Bedürfnis ist von nur relativ wenigen natürlichen Ursachen bedroht. Dagegen wächst die Bedrohung durch Unfrieden zwischen den Menschen, durch Kriege mit immer raffinierteren Fernwaffen, durch die Vergiftung ganzer Landschaften durch Agrarchemikalien und Abholzung, durch das Elend der Massentierhaltung, sowie durch die versteckte Versklavung durch Zins und andere Manipulationen der Finanzindustrie ...

 

Es besteht aber kein Zweifel daran, dass der Mensch mit seinen kreativen Fähigkeiten selbst Ursache dieser Bedrohungen ist, und dass ihm dieser Missbrauch seiner Fähigkeiten gegenüber seiner eigenen und der ihn tragenden äußeren Natur nicht wirklich bewusst ist. Dieser Zustand macht ihn weder gesund noch glücklich, im Gegenteil. Er lebt in dem Drama, dass ihm als Teilnehmer des Lebens paradoxerweise die Übersicht über das Ganze fehlt.

Was ist die Welt und was sind wir, die Menschen?

Zuerst einmal ist festzustellen, dass Menschen heute, nicht anders als seit Menschengedenken in der existentiell prekären Situation leben, nicht zu wissen, wer sie selbst eigentlich sind. Obwohl sie mit ihrem biologischen Körper und seinen Bedürfnissen unübersehbar der Natur angehören, fühlen sie sich doch von dieser Natur irgendwie ausgestoßen, insbesondere aus der Sicherheit und Intimität eines natürlich instinktgeleiteten Seins, die den Pflanzen, Tieren und selbst dem eigenen Körper, den Halt und die Sicherheit geben, einfach zu sein, was sie sind und in denen diese Fragen gar nicht aufkommen.

 

Einzig der Mensch mit seiner Ratio (lat. Rechnung, Vernunft) stellt diese Fragen, da er, mit dieser Fähigkeit ausgestattet, erkennen muss (weil nur bekannte Größen rechnerisch verarbeitet werden können, ihm aber in der “Berechnung“ des Lebens wesentliche Informationen fehlen), dass er dadurch auf sich selbst zurückgeworfen ist und diese selbst gestalten darf und muss.

 

In der Folge ist der Mensch darauf angewiesen, das existentielle Vertrauen, das den Pflanzen, Tieren und seinem Körper offensichtlich “geschenkt“ worden ist, in seinem Bewusstsein selbst zu bilden, um daraus für seinen Verstand ein lebendiges Miteinander zur Welt und zu seinesgleichen zu gestalten, obwohl seine Ratio hier deutlich versagt.

 

Ratio ist zwar ein guter Diener, aber sollte nicht der Herr sein. Das sollte auch unserer geradezu rechenwütigen Kultur langsam dämmern, die mit einer größeren Rechenkapazität die Hoffnung verknüpft, das Fehlende zu errechnen. Die Folge wäre ein Leben nach Zahlen. Aber Leben ist keine Rechnung.

 

Sachlich gesehen, sollte erkannt werden, dass uns Glück und Frieden nur vergönnt sind, wenn wir in und mit dem Sein harmonieren, statt dieses abzulehnen. Das aber bedingt neben der Bejahung der Welt, der die Menschen ihre Existenz verdanken auch die Bejahung ihrer selbst. Warum dieses Ja?

 

Es ist einzusehen, dass an dieser Stelle ein “Ja, aber zu meinen Bedingungen“, oder ein “Ja, vielleicht morgen“, oder sogar ein “Nein, nicht mit mir“, ein gelingendes lebendiges Sein und Miteinander mit der Welt und ihresgleichen, also eigentlich ihr lebendiges “in der Welt sein“, beeinträchtigen oder sogar verhindern kann.

 

Bejahung des Selbst

 

Bekanntermaßen wird durch Religionen und Philosophie die Ansicht vertreten, dass das menschliche Ich-Bewusstsein die Ursache dieses (negativen Sünden-) falls aus der Natur ist und es wird vielfach behauptet, dass der einzige Ausweg aus dieser Tragödie die Schwächung des natürlichen Ichs, oder gar Abtötung des natürlichen Ichs erfordert.

 

Aber mir scheint unbestritten, dass die Eigenschaften und Fähigkeiten dieses Ich-Bewusstseins eine Chance der schöpferischen Erweiterung des instinktiven Seins zu einer eigenen und größeren Intensität zu sein, die uns als natürliche Anlage mitgegeben ist. Diese Tatsache abzulehnen, entspricht dem “ja, aber zu meinen Bedingungen“, dem “vielleicht morgen“, oder dem “Nein, nicht mit mir“.

 

Noch ein Punkt wäre zu erwähnen – macht es wirklich Sinn, das Ich-Bewusstsein aus der Natur auszuklammern, wie es unsere Ratio behauptet? Ist nicht jede Pflanze und jedes Tier ein sehr wohl einzigartiges und unterscheidbares Individuum, auch wenn ihnen die Fähigkeit des rational reflektierenden Denkens fehlt? Denn sie selber empfinden ihr Ich ganz sicher als einen wichtigen Teil, ohne den es ihnen doch gleichgültig wäre, ob sie verletzt oder gefressen werden.

 

Deshalb behaupte ich, dass das Ich-Bewusstsein mehr einem instinktiven Subjekt gleicht, das das Zentrum für die Integrität eines jeden Individuums bildet. Um diesen Kern herum und auf dieses integrierte Wesen bezogen bildet sich sein Verhalten, das lenkt und bestimmt. Es muss etwas anderes sein, das den Unterschied zwischen Mensch und Tier bildet, also als “Fall aus der Natur“ gesehen wird.

 

Wenn wir das Ich-Bewusstsein als einen, jedem lebendigen Individuum allgemein als ihm selbst inhärenten, und im Menschen durch Rationalität erweiterten Instinkt begreifen, entdeckt eine gründliche Analyse zwar einen gewissen Zwiespalt zwischen Kultur und Natur, aber die Einbindung beider in die Welt, ist anhand ihrer realen Auswirkungen nicht zu übersehen.

 

Das “Problem“ des scheinbaren Antagonismus entsteht erst durch die reflektierende Rationalität des menschlichen Selbst. Diese schenkt zwar kreative Möglichkeiten, aber vor allem das Problem, sich des Todes überhaupt bewusst zu sein, auf das sich in der Folge eigentlich alle seine Bemühungen im Zentrum seiner Aktivitäten, Kultur zu schaffen, fokussieren. Kultur (im weitesten Sinne) verspricht die Beruhigung seiner (Todes-) angst.

 

Bejahung der Welt

 

Konsequenterweise lehnen die Religionen und anderen Ideologien, wie Teile heutiger Wissenschaft, die das natürliche Ich als fehlerhaft oder sündig ansehen, auch die Welt mit ähnlichen Argumenten ab und bieten als “Erlösung“ aus dieser “Verdammnis“ ihr jeweiliges Regelwerk als Kultur an. Aber die existentielle Unsicherheit bleibt in der Regel trotz Kultur bestehen und wird eigentlich eher vertieft, da diese Haltungen unbewusst die wichtigsten Ingredienzien verwerfen, auf die eine wirklich friedliche und fruchtbare Beziehung zu Welt und Sein aufbauen.

 

 

Sachlich gesehen sollte erkannt werden, dass uns Glück und Frieden nur vergönnt sind, wenn wir selbst mit dem Sein (Ich und Welt) harmonieren, statt dieses abzulehnen. Bejahung der Welt kann also nicht bedeuten, zu allen menschlich gemachten Teilen der Welt Ja zu sagen.

 

Primär existentiell abhängig von der Welt, benötigt der Mensch wie jedes andere individuelle Lebewesen auch für sein “Überleben“ die authentische Selbständigkeit seiner Wahrnehmung, seines Fühlens und seiner Emotionen. Wird diese benötigte Selbständigkeit aber durch eine kulturell dressierte ersetzt, die seine wirklichen Wahrnehmungen ablehnt und negiert, riskiert der Mensch auf lange Sicht sein “Nicht-Überleben“ als Gattung und individuell seine Gesundheit.

 

Weil ihm aber die Sicherheit der Instinkte fehlt, ersetzt seine Imaginationsfähigkeit die zur “Rechnung fehlenden Fakten“ seiner Ratio, durch die Vorstellungen, die seine Imagination in der Kindheit gebildet hat und wesentlich durch die Fähigkeit (oder Unfähigkeit) der Eltern und der Gesellschaft geprägt ist, ein lebendiges Miteinander zu gestalten.

 

Je nach Geschmack und Wissen könnte ich, wie jeder Mensch auch, hier eine lange Liste staunenswerter und abscheulicher “Leistungen“ menschlicher Kultur anfügen, was ich mir aber verkneife, denn die wahrscheinliche Uneinigkeit darüber, in welche Kategorie eine dieser “Leistungen“ gehört, offenbart noch eine ganz andere Zwiespältigkeit, nämlich die der unterschiedlichen Bewertung.

 

Sind, um es an nur einem Beispiel aufzuzeigen, die ägyptischen Pyramiden und Grabkammern mit ihren mumifizierten Resten organischen Materials Symbole großer Schöpferkraft, oder nicht doch vor allem Monumente der Angst vor dem Tod und vor dem Verlöschen irdischer Macht und irdischen Besitzes in die Bedeutungslosigkeit? Ich denke, sie sind beides und vermitteln durch den geschlossenen Kanon ihrer Ästhetik die hohe Intensität und Geschlossenheit ihrer Weltsicht.

 

Aber ihren kulturellen und eigentlichen Anspruch, nämlich den Tod und die empfundene Bedeutungslosigkeit zu überwinden, können sie für den Ungläubigen nicht einlösen. Durch ihren Gigantismus und ihre Ästhetik scheinen sie aber eines erreicht zu haben – Bedeutung. Die Bedeutung besitzen sie aber lediglich in der rational verarbeiteten Imagination ihrer Erbauer, deren Ästhetik wir als Betrachter bewundern.

 

Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass alle Versuche, konkrete Antworten auf die existentielle Frage „wer wir sind“ (und was wir tun sollen) zu geben, in ideologischer Weltablehnung erstarren, wenn sie das gleiche Recht auf eine eigene Antwort anderer Menschen bekämpfen. Das gilt für alle Kulturen, alle Ideologien und alle Spiritualität.

 

 

Aus diesem Grund sollten wir uns ganz pragmatisch und rational, statt in diese Falle einer endgültigen Antwort zu gehen, fragen, was die Bedürfnisse unseres Körpers und unsere Wünsche, Sehnsüchte und Ziele in diesem Leben sind und mutig die biologische Abhängigkeit und die Sehnsucht nach Frieden und Glück anerkennen.

Es ist zu untersuchen, was die Bedingungen für ein erfülltes Leben sind, das, wenn nicht zu einem zeitlosen, so doch zu einem, wenn auch “nur“ lebenslangen Glück und Frieden führt.

 

Die biologische Grundlage –Wahrnehmungsfähigkeit

 

Um ein harmonisches Verhältnis zur äußeren Welt zu leben, bedarf jedes Individuum eines harmonischen Verhältnisses zu seinem inneren Selbst, sowie zu seiner körperlichen Präsenz. Dieses Verhältnis ist in jenem Grad harmonisch, wie es seine in ihm angelegten Bedürfnisse befriedigen kann.

 

Zur Erfüllung seiner biologischen Bedürfnisse bedarf jedes Lebewesen in erster Linie der vollen und ungestörten Wahrnehmungsfähigkeit seiner Bedürfnisse, denn ohne diese wahrzunehmen, können Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Diese Wahrnehmungsfähigkeit ist bei Pflanzen und Tieren in einem intakten Ökosystem durch ihren Instinkt gewährleistet.

Ähnlich ist es beim biologischen Körper des Menschen, der über ein natürliches Repertoire instinktiver Wahrnehmung wie der jedes Tieres verfügt.

 

Im Bewusstsein des naturfern lebenden Menschen ist aber diese Wahrnehmung entweder durch ein selbst geschaffenes künstliches Umfeld (Kultur) oder durch die nicht korrekte, meist traditionelle, aber auch durch modernste, ungeprüfte Einschätzung und Bewertung überdeckt, und somit in seiner natürlichen Funktion eigentlich gestört. Ein Beispiel: So kann sein Instinkt bei denaturierter, gekochter Nahrung nicht erkennen, ob diese Nahrung für den Körper sinnvoll und richtig ist, oder welche Menge gut wäre. Der Instinkt würde ihm bei ungekochter, naturbelassener Nahrung deutliche Signale geben.

 So entfallen bei gekochter Nahrung die instinktiven Signale, welche Menge reicht, oder welches Essen minderwertig ist und ob es den Körper mehr belastet als ihn sinnvoll ernährt. Die daraus resultierende “Fehlernährung“ schwächt nicht nur die instinktive Wahrnehmungsfähigkeit des Körpers, sondern auch tendenziell die darauf aufbauenden geistigen Wahrnehmungsfähigkeiten.

 

Auch in sozialen Zusammenhängen ermöglicht erst die ungestörte Wahrnehmung eigener Bedürfnisse deren erfolgreiche Befriedigung. Als wichtigstes Beispiel wäre hier vor allem die Beziehung jedes Kindes zu seiner Mutter zu nennen, der über den einzelnen Moment hinaus, größte Bedeutung für die zukünftige Wahrnehmung wichtiger Bedürfnisse zukommt, da die Kindheit nicht nur sich selbst, oder den Eltern genügen muss, sondern die Entwicklung zur Reife des selbständigen Menschen vorbereitet und bahnt, der als zukünftiger Erwachsener die Kette des Lebens weitergibt.

 

Werden zum Beispiel, aus welchen Gründen auch immer, die Bedürfnisse des Säuglings oder Kleinkindes nach körperlicher Nähe, gesunder Ernährung und liebevoller Achtsamkeit nicht erfüllt, so werden Teile der Wahrnehmungsfähigkeit für eigene Bedürfnisse unterdrückt, die sich u.a. in verminderter Lebenskraft, späteren Depressionen und Grandiositätsphantasien äußern (Siehe das Buch von Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes).

Die Wahrnehmungsfähigkeit eigener Bedürfnisse, begründet aber nicht nur die Basis für deren Erfüllung, sondern stellvertretend auch die Basis für alle weiteren Wahrnehmungen, die sekundär von der Denkfähigkeit eines Menschen zu einem stimmigen und werthaltigen Projekt verarbeitet werden können – oder auch nicht.

 

Ist z. B. das legitime Bedürfnis nach Nähe, Pflege und Achtsamkeit in der frühen Kindheit massiv vernachlässigt worden, so wird der spätere Mensch diese Verhaltensweisen sich selbst und den eigenen Kindern gegenüber nicht wirklich schenken können, da diese Bedürfnisse in ihm quasi verboten, scheinbar gelöscht, also nicht vorhanden sind und in der Folge nicht voll wahrgenommen werden können (z.B. Die Ansicht “Ein Kind kann nur mit Prügel erzogen werden, mir haben Prügel nicht geschadet“ ist kein Beweis für Richtigkeit, sondern bestätigt die Löschung der Wahrnehmung eigener natürlicher Bedürfnisse im Prügelnden).

 

Ein Tier ist in solcher Weise nicht zu verbiegen. Es lebt immer in der stimmigen Realität. Da es seine Wahrnehmungen nicht rationalisiert, wird es seine Wahrnehmungsfähigkeit weder einer Moral opfern, noch seine Bedürfnisse oder deren Artikulationen verleugnen. Beides kann nur der Mensch aufgrund der Rationalisierung seiner Denk- und Imaginationsinhalte.

 

Doch sein Körper, dessen Bewusstsein keine Rationalisierungsfähigkeit besitzt, kann die biologische Realität trotz elastischer Anpassung nicht wirklich verlassen. Da er nicht in Worten redet, teilt er seine Bedürfnisse mit Hilfe von Symptomen und Gefühlen mit, die aber nicht willkürlich, wie die Worte einer Sprache gebildet sind, sondern eigentlich direkt sind.

 

Wenn Rationalisierung die Wahrnehmung ersetzt

 

Auch einige Verhaltensforscher wissen mittlerweile, dass Tiere durchaus denken können. Und so besteht der wesentliche Unterschied zum Menschen in der Rationalisierungsfähigkeit des Menschen, die er mit den Inhalten der, der Ratio vorausgehenden Imagination einerseits etwas Gewesenes, etwas Zukünftiges, oder sogar etwas gar nicht Existentes rechnerisch zu verarbeiten versucht.

 

Das aber gilt es nicht zu verurteilen oder zu bedauern, weil es der Kern und Motor seines kreativen, die anderen übersteigenden “Instinkte“ ist und damit seine besondere Begabung darstellt. Dieses Geschenk enthält, wie gesagt, auch die Erkenntnis des Todes und überzieht seine Existenz grundlegend mit Unsicherheit, als dem eigentlichen Grund seiner kulturellen Bemühungen.

 

Wir erkennen in allen Bereichen menschlicher Kultur die Bezugnahme zur prekären existentiellen Situation des Menschen und seiner besonderen Fähigkeiten. Es ist seine Rationalisierungsfähigkeit, die ihm seine Situation prekär erscheinen lässt und es verwundert nicht, dass er darauf mit Angst reagiert, auch nicht, dass in Kultur nicht nur existentielle Angst mitschwingt, sondern dass diese Angst die Ursache und der unerkannte Begleiter jeder Kultur ist.

 

Angst ist weder angenehm noch ein gutes Gefühl. Und so verwundert es nicht, dass sie meist zwanghaft ausgeklammert wird, obwohl sie in fast allen Themen untergründig mitschwingt und durch dieses Ausklammern eher kultiviert, als wie gehofft, überwunden wird und dass Angst, eher als Vernunft, menschliches Sein und Handeln antreibt. In Folge dieser Unterdrückung wird die Angst ins

Unterbewusstsein abgeschoben, wo sie zwar weiter, sogar stärker und destruktiv wirkt, aber nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.

 

Eine Folge davon ist die “ahnungslose Programmierung zur Destruktivität“ (siehe das Buch von Alice Miller: Abbruch der Schweigemauer, Seite 94), die durch Erziehung weitergegeben, nicht nur zur Störung der individuellen Entwicklung einer erfüllten Lebendigkeit, sondern mittlerweile weltweit zur Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen auf dem Planeten führt.

 

Angst ist die Ursache dieser Gewalt und schädigt die Integrität, die zu einer friedvollen Präsenz nötig ist. Die unbewusste Schuldangst wird von Generation zu Generation unbewusst durch Erziehung weitergegeben.

Der menschliche Geist ist voller gewalttätiger Ideen und Behauptungen, nicht weil es von Natur aus sinnvoll ist, sondern weil er keine Chance hatte, sich individuell zu friedvoller Selbständigkeit in einer eigenen Kultur zu entwickeln. Er ist dann blind für eigene Verletzungen und Ängste und behindert seine volle Lebendigkeit.

 

Das ist ebenso die Basis für die größeren, gesellschaftlichen Strukturen, die eher dem Prinzip von Räuberbanden gleichen als dem Ideal, das sie vorgeben zu sein. Das gilt sowohl für Monarchien, Theokratien sowieso usw., aber im Besonderen auch für das, was so fortschrittlich und alternativlos als Demokratie gepriesen wird. Alle sind bei tieferer Betrachtung eher ein Zusammenschluss

narzisstisch bedürftiger Individuen, die sich in der Masse um einen Anführer scharen, der die größere Präsenz besitzt und seinen Gefolgsleuten die Erlösung ihrer Defizite verspricht.

 

Was verleiht einem biologischen Organismus Integrität, wenn doch so viele Störungen und Herausforderungen seine Harmonie beeinträchtigen oder stören könnten?

 

Deutlicher in seinen Auswirkungen und klarer in der Begründung als von Alice Miller in ihren Schriften aufgezeigt, kann es kaum gesagt werden: “Unser Körper lässt sich auf keinen Fall betrügen. Er respektiert nur die Wahrheit unserer Gefühle und Gedanken, und nur mit ihnen ist er langfristig bereit zu kooperieren. Leider werden junge Leute ständig dabei entmutigt, ehrlich zu sein und mit dem bedroht, was wir Moral nennen. Zuerst durch die Familien, dann die Religionen und schließlich durch die Psychiatrie“ (siehe A. Miller, Abbruch

 

der Schweigemauer, S. 45).

 

Die verdeckte Verwirrung des Verstandes durch Angst

 

Ich möchte hiermit das Augenmerk auf Angst lenken, die ich als das herausforderndste und doch am wenigsten geklärte Gefühl erachte. In gewisser Weise wird sich das mit Aspekten anderer Gefühle überschneiden, da Angst letztlich die Grundfärbung aller anderen disharmonischen Gefühle ist.

Zuerst ist es aber wichtig einiges über Angst klar zu stellen, denn die Angst hat im Menschen zwei sehr verschiedene Ursachen – einerseits ist sie ein angemessenes Gefühl auf natürliche, andererseits ein ebenso angemessenes Gefühl auf imaginativ rationale, kulturell geprägte Aspekte existentieller Gefährdung.

 

Die natürliche Angst besitzt im Rahmen der existentiellen Wirklichkeit wichtige Aufgaben. Sie fokussiert die Wahrnehmung auf reale existenzbedrohende Vorgänge und konzentriert gleichzeitig sowohl die Aufmerksamkeit (Bewusstsein plus Unterbewusstsein), als auch die nötigen, zum Teil gigantische Handlungsenergien (biologischer Körper) für die Abwendung dieser Gefahr.

 

Ganz allgemein kann nicht bestritten werden, dass die natürliche Angst ein lebensnotwendiges Gefühl ist, also als natürliche Reaktion überlebensnotwendig ist und dass ihre körperlichen Reaktionen angemessen sind und sich bewähren. Nachdem eine beängstigende Situation vorbei ist, sollte der harmonische Normalzustand wieder hergestellt sein, ohne Stau oder Mangel im Energiesystem des Körpers zurückzulassen.

Reale bedrohliche Situationen sind in unserer Zivilisation sehr selten und werden in der Regel gut verkraftet, oder werden sogar, wegen des Adrenalin-Kicks von vielen Abenteurern und Sportlern gesucht.

 

Anders die imaginativ rationale, kulturell bedingte Angst. Man könnte diese auch als ideologisch induzierte Angst bezeichnen, denn jede menschliche Kultur stellt in Gesellschaft und Familie seine Mitglieder in Regelsysteme, die sich meist nicht von natürlichen Bedürfnissen, sondern oft von Ideen herleiten, die nicht nur naturfern, sondern auch regelrecht naturfeindlich sein können.

 

Dabei sind die körperlichen Reaktionen in dieser Angst zwar genauso biologisch handfest und real wie bei einer natürlichen Angst, aber da im Gegensatz zur natürlichen Situation selten eine Lösung durch körperliche Reaktionen (Kampf oder Flucht) in diesem kulturellen Kontext vorgesehen und sinnvoll ist, verbleiben die aktivierten Energien im Körpersystem, ohne verbraucht zu werden. Energiestau in den aktivierten Bereichen plus Energiemangel in anderen Bereichen ist die Folge.

 

Den Umgang mit diesem, für den Körper problematischen Aspekt, lernen Menschen vor allem in der Lernphase, ihrer Kindheit. Leider lernen sie es von Eltern in einer Art, die sich unbewusst eher der Angst als Druckmittel der Erziehung bedienen, weniger um eine lösbare Herausforderung zu vermitteln.

Das wird von vielen Kindern sehr richtig als unfair und unlösbar empfunden. Die Unlösbarkeit aber ist der Grund, weshalb die empfundenen Ängste verdrängt und in der Hoffnung, diese zu vergessen, ins Unterbewusste abgeschoben werden. In gewisser Weise haben sie keine andere Wahl, denn ihnen wird in der Regel keine andere Option oder Handlungsstrategie beigebracht, als die des Schweigens und Gehorsams.

 

Ein Kind kann überraschend schnell vergessen, aber das ist nur scheinbar, denn in Wirklichkeit spricht es für sein extrem schnelles Lernen, das die Aussichtslosigkeit einer guten Lösung erkennt, angesichts eines übermächtigen Erwachsenen, von dem es existentiell abhängt. Zurück bleibt ein Defizit nicht aktiv bewältigter Angst und ein Defizit an positiven Strategien, damit umzugehen. Hier verweise ich auf die Bücher von Alice Miller, die diese Problematik ausführlich beschrieben hat, wenn auch in anderer Weise als ich das hier tue.

 

In vielen Diskursen aller Zeiten zum problematischen Wesen des Menschen stoßen wir, man könnte mit Thomas Bernhardt sagen, naturgemäß, auf die Diskrepanz zwischen Natur und Kultur im menschlichen Verhalten und in der Regel wird es als über sie von außen verhängtes Schicksal beklagt. Adam, Eva und der Sündenfall, etc. ... und das, was dem Menschen somit widerfährt, wird ihm meist, eigentlich unfair und ungerechterweise als seine eigene Sünde oder gnädigerweise als Unfall zur Last gelegt.

 

Das aber ist kein Unfall, der mit “zurück zu Natur“ behoben werden könnte. Es ist eigentlich die besondere Herausforderung und das anspruchsvolle Reifeziel unserer Gattung Mensch.

Der Unterschied des menschlichen Bewusstseins zum Instinkt des Tieres scheint seine Fähigkeit zum Eigenwillen zu sein. Das Tier kann nicht anders als seinem instinktiven “Programm“ zu folgen. Nur der Mensch ist fähig zu Eigenwillen und das wegen seines Egos und seiner Fähigkeit frei zu imaginieren, das heißt, sich gedanklich von der Realität zu lösen, um Alternativen zu erkunden und auszuprobieren.

Das geht aktuell so weit, dass es scheint, als lebe er ganz ohne Instinkte und arbeite in der Mehrzahl und als Gattung ziemlich verbissen an der globalen Vernichtung seiner Lebensgrundlagen. Üblicherweise verdächtigt er seine Instinkte und seine biologische Natur als fehlerhaft z.B. gierig oder dumm zu sein und ist schnell bei der Hand, diese verbessern und optimieren zu wollen. Ich teile diese pessimistische Sicht und ihre zweifelhaften Ideologien nicht und sehe es eher als Aufgabe und Herausforderung, mit diesem Geschenk der Natur sorgfältig umzugehen.

 

 

Achtsamkeit in der Imagination

 

Der menschliche Verstand ist auch im heutigen wissenschaftlichen Kontext völlig überfordert, wenn er sich die Frage nach einem Anfang allen Lebens stellt, denn er bezieht diese Frage ohne Fakten eines Überblicks, lediglich aus der ängstlichen Beobachtung des individuellen Lebens mit Geburt und Tod als zeitlichen Rahmen des biologisch präsenten Individuums.

 

Die Wissenschaftskirche unserer Zeit setzt den Anfang der Welt und des Lebens als zufälliges Ereignis und behauptet, dass natürliche Werterfüllung und Reifung, die sehr wohl in allen Teilen und Phasen des Lebens zu beobachte sind, als ebenso zufällige Ereignisse, die ohne Grund zum heutigen Zustand geführt haben, aber hofft in dieser Not auf die imaginierte Chance zur Ermächtigung eines, um sich

selbst besorgten menschlichen Wesens, das in eine einsame und bedrohte Existenz geworfen ist, aber mit rational technischem Wissen Unsterblichkeit erreichen kann.

 

Es ist aber kein Wissen, sondern ein Glaube, der diese Wissenschaftler zu diesen Behauptungen verleitet. Eine nachhaltig offene Wahrnehmung könnte sehr wohl erkennen, dass ohne die Aussicht auf natürliche Werthaltigkeit und Reife diese an Kreativität überbordende lebendige Welt nicht entstehen und bestehen könnte. Der Tod spielt darin eine ebenso wichtige Rolle wie die Geburt. Aber lassen wir die Frage nach Geburt und Tod beiseite, da wir dazu keine verifizierbaren Fakten haben und konzentrieren wir uns sachlich auf den Gegenstand.

 

 

Alles ist Bewusstsein (siehe meinen Artikel „Was ist Bewusstsein?“ in WiPlus Nr. 2/2019)

 

Es schafft und trägt die Wirklichkeit durch seine Fähigkeit der Interaktion, die auf der Fähigkeit zur Wahrnehmung beruht. Indem Bewusstsein Materie bildet, erschafft es eine eigene materielle Wirklichkeit, die neben dem erreichten Zustand ein unbegrenztes Potential variabler Zustände enthält.

 

Bewusstsein ist immer Ursache aller Formen und Prozesse, die als ihr Ausdruck in der Wirklichkeit erscheinen. Alle daraus ent-wickelten Zustände nutzen zwar die erschaffene Wirklichkeit, aus der sie als verlässliche „Naturgesetze“ hervorgegangen sind, suchen aber nach deren harmonikaler schöpferischer Erweiterung. In unserer Welt erlangt das Sein durch Dinge und Lebewesen materielle Präsenz, ebenso das menschliche Ich mit seiner Fähigkeit zur Imagination.

 

Auch wenn in der menschlichen Imagination die Vorstellung eines von seinen Quellen unabhängigen Ichs auftaucht, besitzt diese Vorstellung in der materiellen Welt keine Realität. Der Traum von einem total unabhängigen Ich negiert einerseits die grundlegende Kaskade seines Ent- und Bestehens, negiert aber damit auch die schöpferischen Kräfte und Möglichkeiten, auf die seine Existenz gerichtet ist.

 

 

Der Mensch und seine Fähigkeit zur Rationalität werden in einem hochkomplexen Wirklichkeitssystem von Voraussetzungen und Abhängigkeiten gebildet, das vielleicht nicht das Nonplusultra, sondern nur eine Variante von etlichen anderen ist, wie sich Bewusstsein in einem biologischen Wesen ausdrückt und Präsenz schafft.

 

Leben ist Präsenz seines biologischen und emotionalen Bewusstseins

 

Alles im Leben dreht sich in irgendeiner Form um Präsenz. Nicht nur in der Balz überzeugt starke Präsenz von der individuellen Vortrefflichkeit eines Hahnes durch seine bunten Federn, ebenso das größere Geweih eines Hirsches, aber auch menschliche Mode, Tattoos, Schmuck oder teurer Besitz, Luxus usw. können zur Steigerung der Präsenz dienen.

Auch eine nicht so auffallende, stille und lyrische Präsenz kann bevorzugt werden, usw.…

 

Der Unterschied zwischen authentischer und bloß zugelegter, oder durch zugelegte Attribute angemaßter Präsenz sollte aber klar sein. Leben ist in jedem seiner Momente ein Prozess, der neben der Erfahrung als Lebewesen, auf das Erhalten und Erreichen einer mit seinem individuellen Selbst harmonischen Präsenz gerichtet ist.

 

Ich finde es überdeutlich, dass die inhärenten Attraktoren und Beweger der vitalen Kräfte in allen Bereichen des Lebens vorhanden sind, sei es in den biologischen des Körpers, oder den emotionalen und mentalen Dimensionen des menschlichen Geistes. Ohne die Attraktion einer Erfüllung als präsentes Wesen hätten weder die einfachen noch die hochkomplexen Lebensprozesse Kraft und Energie.

 

Ohne die Attraktion dieses “Wertes“ gäbe es in der Existenz des Lebens keine Richtung und ohne die Möglichkeit diese in einer Präsenz zu verwirklichen, gäbe es keine auf Reife zielende, bewegende Entwicklung und Wirklichkeit.

 

Werte und Reife sind aber keine willkürlichen, unabhängigen Kategorien, sondern beziehen sich auf vorhandene materialisierte Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, die jeweils als Welt vorgefunden werden und nicht von einem Glaubenskodex, einer Moral, einer Ethik oder einem politischen Programm bestimmt werden können. Leben ist in jedem seiner Momente ein Prozess, der neben der Erfahrung als Lebewesen, auf das Erhalten und Erreichen eines harmonischen Zustands gerichtet ist.

 

Unterzieht man die Ideologien und „Untaten“ der Menschheit aller Zeiten, auch unserer, einer kritischen Prüfung, so könnte der Eindruck entstehen, dass Verwirrung, Egoismus und Wahn vorherrschen.

Zudem entziehen sich die meisten Ideologien in Form von Religionen und Wissenschaft der realen Welt trickreich durch Weltablehnung und verlegen ihr “Angebot“ auf eine harmonisch selige Existenz wahlweise auf ein jenseitiges Himmelreich, auf ein Nirwana als Nichtexistenz oder auf eine technische Überwindung ihrer Sterblichkeit.

 

Es sollte klar sein, dass die Ablehnung der Wirklichkeit der Welt und somit eigener Existenz nicht zu einer unabhängig selbständigen Existenz führen kann, wie sehr man daran auch glaubt.

 

Beispiele

 

- Bei Krankheiten verdächtigt die wissenschaftliche Ratio generell die Biologie als mit Fehlerhaftigkeit und Anfälligkeit behaftet, ohne zu erkennen, dass eben die vortreffliche Biologie auch die Ratio hervorgebracht hat, die zwar zu partieller Blindheit neigt, aber die Freiheit enthält, zu diesen Zweifeln fähig zu sein.

 

- Die offene und direkte Sklaverei ist zwar seit dem 19. Jahrhundert größtenteils verschwunden, wird aber mit subtileren Formen der Finanzindustrie weltweit weiter geführt und gilt, wie eben auch die alte, direkte Form, als unverzichtbarer Fortschrittsmotor.

 

- Obwohl oft beschworen “Nie wieder Krieg“, werden Kriege permanent geführt.

 

Es ergibt sich so das Paradoxon, dass mit dem Menschen ein unglückliches Wesen entstanden zu sein scheint, das nicht nur gegen die Welt, sondern gegen sich selbst kämpft. Der Ursache dieses Tumultes ist aber die menschliche Fähigkeit der Ratio und Reflexion, die den Menschen von der instinktiven Beheimatung im Sein und ihrer als Natur zu bezeichnenden Umwelt zu lösen scheinen. Dabei vertieft sich die durch Ratio entdeckte Angst vor dem Tod.

 

Ein Nihilist nimmt das Scheinbare daran als wirklich und verkennt die Entwicklungschancen, einen friedvollen Geist zu entwickeln und sich der suizidalen Gewalttätigkeit seiner Imagination und Ratio bewusst zu sein. Kein Unwetter, kein Vulkanausbruch, keine Pflanze und kein Tier können gewalttätig sein, da sie alle, gemäß ihrer Natur das sind, was sie sind und bewirken.

 

Die reflektierende Ratio erweitert die Realität mit der Fähigkeit zur Machtausübung.

Die Natur übt keine Macht aus, sie ist es.

 

Alle Dinge und Wesen, denen die Fähigkeit zu Imagination und Reflexion “fehlt“, erlangen ihre Präsenz ungetrübt aus dem Sein selbst. Jeder Mensch, nicht nur als biologisches Wesen, besitzt eine natürliche Präsenz, die aber durch seine Imaginations- und Reflexionstätigkeit überdeckt ist.

Natürlich beziehen sich alle Prozesse und Erscheinungen auf die Welt, in der wir leben, anders gesagt, auf die Dinge und Wesen, die hier präsent sind. Präsenz ist das Wesen der Beteiligung, nicht nur der bloßen Anwesenheit. So ist z. B. der Traum von einer digitalen Fortexistenz eines Ichs weltfremd. Präsenz ist nicht gleich Präsenz. Sie ist in individuellem Grade stärker oder schwächer und entspricht eigener Wahrhaftigkeit und Selbstannahme.

 

Ein Diktator ist sich seiner Angst vor Nichtpräsenz nicht wirklich bewusst, aber er hat gelernt, andere zu manipulieren, damit sie seine Präsenz stärken. Er ist ohne diese nur schwach präsent.

Bezeichnenderweise haben solche Kulturen, die in Harmonie und Anerkennung ihres Eingebundenseins in Welt und Natur gelebt haben, keine gigantischen Monumente hinterlassen und gelten für Wissenschaftler infolgedessen nicht als Kultur, sondern lediglich als primitive Vorläufer.

Die Messbarkeit vorhandener Artefakte verführt oft dazu, die Höhe der Kultur einer Epoche, als einen Wettbewerb des Gigantismus zu sehen. Aber ein Blick auf die Hinterlassenschaften uns bekannter Diktatoren, als explizite Vertreter der unfriedlichen Geisteshaltung zeigt, worauf ich hinweisen möchte.

 

Auch wenn das Individuum, in dem sich das Menschsein für seine Emotionen und Gedanken ausdrückt, sich an der Spitze der Zeit und der Ereignisse fühlt, so steht es als Vertreter seiner Art doch in der Kette seiner Vor- und Nachfahren, ebenso wie ein Zugvogel oder Monarchfalter und hat gemeinsam mit allen anderen das Recht und keine andere Verpflichtung, als die, seine harmonische Präsenz zu leben.

 

Spielen – Imaginationsfähigkeit für eine lebendige Selbständigkeit und Kultur

 

Die Zeit, eine selbständige und offene Imagination zu entwickeln, ist die Kindheit, die aus diesem Grund vorrangig aus der Tätigkeit des Spielens besteht. Das Spielen in dieser Zeit öffnet den Zugang zu den ureigenen Bedürfnissen und Anlagen, also zu den Ingredienzien, mit denen jedes Lebewesen seine Präsenz in der Welt gestalten wird.

Gleichzeitig werden die wahrscheinlichen Widerstände, denen das Wesen auf seinem Reifeweg begegnen wird, (spielerisch) erprobt.

 

Das gilt für den Mensch ebenso wie für alle Tiere, deren Kinder spielen. Spielen ist in dieser Zeit das notwendige Bedürfnis, dessen Befriedigung wesensgerecht in die Welt und zu deren authentischer Teilnahme führt. Hier werden alle relevanten Bedingungen der schon präsenten Welt ohne Anstrengung kennen gelernt und da es im eigentlichen um die harmonische Ausrichtung der eigenen Präsenz in dieser Welt geht, werden hier die Grundlagen für alle späteren und weiteren Entwicklungsschritte gelegt und deren Erfolg ermöglicht.

 

Die Rationalität beginnt (instinktiv) normalerweise erst im Alter von 5 – 6 Jahren und ist nicht mit der Denkfähigkeit zu verwechseln, die schon vor der Geburt grundsätzlich vorhanden ist. Alle späteren rationalen Leistungen bauen auf dem Maß biologischer und imaginativer Integrität auf, aber können bei deren Defiziten, auch den Versuch darstellen, erlittene Defizite dieser Bereiche in der Kindheit durch Übermaß zu kompensieren, wie es z.B. die Biografie Nietzsches zeigt (siehe das Buch von Alice Miller: Der gemiedene Schlüssel; hier das Kapitel: Das ungelebte Leben und Werk eines Lebensphilosophen).

 

Auch wenn das Beispiel Nietzsche extrem ist, kann wohl jeder Mensch Defizite ähnlicher Art aus seiner Kindheit bei sich selbst entdecken, die er zwar entdecken, aber nicht nachträglich auf natürliche Art auffüllen kann, da deren Zeit vorbei ist.

Diese Ent-Deckung kann aber dann das tiefe Bedürfnis nach der kindlich offenen Imaginationsfähigkeit freilegen, deren Entdeckung in der Folge trotz verpasster natürlicher Reifeschritte, größere geistige Reife im Leben ermöglicht. Es ist eigentlich unnötig zu sagen, dass kindisches Verhalten erwachsener Menschen, nicht damit gemeint ist.

 

“Durch das, was dir mitgegeben wurde, wirst du das erlangen, was noch erlangt werden muss. Das ist der Anfangspunkt. Wenn du vor genau diesem Anfang wegläufst, ist es unmöglich, das Ziel zu erreichen. ... Wenn du es aus dieser Sicht siehst, dann hast du keinen Grund, irgendwo betteln zu gehen. Verstehen ist die einzige Voraussetzung. Die gesamte Existenz besteht zum Zwecke des Verstehens. Lerne von allen, höre alle an und versuche letztendlich dein eigenes inneres Selbst zu verstehen“

 

(siehe das Buch von Osho: Das Chakra Buch. Seite 177).


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Angst Ratio Präsenz - Friedensfähige Selbständigkeit
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