Was ist Macht?

Wir gebrauchen regelmäßig den Begriff Macht, aber kaum ein Mensch macht sich Gedanken über diesen Begriff und seinen Inhalt. Meist wird sie als simple Kausalrelation verstanden: Die Macht einer Person ist die Ursache, die bei anderen Personen gegen ihren Willen ein bestimmtes Verhalten bewirkt. Aber dieses vereinfacht rational-kausale Denken führt in die Irre und verdunkelt das wirkliche Geschehen.

 

Macht ist ein Phänomen der menschlichen Gesellschaft und diese besteht aus Lebewesen, also Organismen.  Das Verhalten der Organismen ist aber rein über Kausalität nicht zu beschreiben und zu verstehen. 

Alle Lebewesen, auch der Mensch, sind immer in das sinnvoll-biologische Wirken des Lebens eingebunden. Jeder Organismus hat die "Freiheit" sich in dem ewigen Strom dieses Lebens zu entfalten.

Deshalb ist Macht nur über das Verständnis des organismischen Verhaltens des Menschen zu begreifen.

Ist er in eine normale biologisch-organismische Ordnung eingebunden, so ist der "Sinn-Raum" des Lebens seine -immer dem Leben dienende - Orientierung. In den Gesellschaften, die durch die Aneignung geprägt sind, wird dieser "Sinn-Raum" des Lebens in immer größeren Maße zum Störfaktor und wird deshalb durch einen "Sinn-Raum der Macht" ersetzt, der den Handlungen der Menschen zum Erhalt der Aneignungs-Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit verleiht. Hier schlägt die Geburtsstunde der Ideologien, Philosophien und Utopien. Ihre erste Schöpfung sind die Götter und die Ausrichtung der Gesellschaft unter ihrem Willen.

Macht ist grundsätzlich keine Eigenschaft des Lebens im normalen Naturverhältnis. Sie wird erst durch den Menschen durch die Aneignung und den Willen zur Beherrschung von Natur und Mensch zwangsläufig in Kraft gesetzt.

 

 

Der Mensch ist in der Lage auf äußere Ursachen selbständig zu reagieren und deshalb nur effektiv und stabil in eine Machtordnung einzufügen, wenn ihm die Illusion der selbständigen Wahl erhalten bleibt.

 

 

Es herrscht ein grundsätzliches organismisches Prinzip, dass den Zusammenhalt, den Austausch, die Symbiose und die ständige Entfaltung der organismischen Strukturen sichert. Es ist untrennbar verbunden mit dem ständigen Fluß und wirken der Lebensenergie im Gesamtorganismus Kosmos.

Auch in Gesellschaften, die sich in der Aneignung befinden wirken die gleichen Strukturen, die dem Aufbau und der Entfaltung von organismischen Einheiten zu Grunde liegen. Das ist auch nicht anders möglich, denn würden sie zerstört, wird auch der Organismus zerstört und damit das Leben.

In einer Gesellschaft, die auf der Aneignung fremder Lebensenergie beruht, beginnt der Mensch seine Bilder von der Welt und die soziale Struktur diesen Bedingungen anzupassen. Zwangsläufig verliert er so seine organismische Verbundenheit und damit das Aufgehoben-Sein in der Welt.

Der Mensch schafft statt der natürlichen Verbundenheit ein Herrschaftsverhältnis, einen Machtraum. Dabei unterliegt er der Illusion, dass er diese gesellschaftlichen Verhältnisse über eine von ihm geschaffene Struktur (Staat, Politik, Ökonomie usw.) bewußt gestalten (machen) und beherrschen kann. 

Die Verhältnisse in den Gesellschaften, sowie auch das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer natürlichen Umwelt und der dabei ablaufenden Prozesse sind durch die Menschen zwar beobachtbar aber nicht steuerbar, schon überhaupt nicht durch den Menschen beherrschbar. 

 


 "Wer eine absolute Macht erreichen will, wird nicht von der Gewalt, sondern von der Freiheit des Anderen Gebrauch machen müssen"

 

"Eine höhere Macht ist nämlich die, die die Zukunft des Anderen bildet, und nicht die, die sie blockiert."

 

"Gegenüber einem passiven Ding ist keine Macht im eigentlichen Sinne möglich. So sind Gewalt und Freiheit die beiden Endpunkte einer Macht-Skala."

 

Byung-Chul Han  "Was ist Macht?"